Na klar leb ich mein eigenes Leben, wessen Leben sollte ich denn sonst leben? Und wenn ich dir sage, dass du das nicht tust, würdest du mir dann glauben?
Spätestens in der Pubertät entscheiden sich die meisten jungen Menschen dafür, ganz sicher nicht das Leben ihrer Eltern zu leben. „Ich mach es sicher ganz anders als du Mama, als du Papa“, ist der Satz der Stunde! „So wie du werde ich ganz sicher nicht!“ Kennst du sicher auch, oder?
Spätestens wenn du dich dabei ertappst, dass du bei deinen Kindern genau dieselben Sprüche loslässt, wie damals deine Mutter bei dir, solltest du dich fragen, ob du es wirklich geschafft hast. 😉
Tatsache ist, dass du lange Zeit gedacht hast, dass dies möglich ist, es ganz anders zu machen als deine Eltern. Die zweite Tatsache ist, dass du gar keine Chance hattest, egal was du tust. Bis zu einem gewissen Grad bist du das Abbild deiner Eltern, du hast ja schließlich lange genug Zeit gehabt, sie zu kopieren. Und nichts anderes hast du getan.
Bei einigen Menschen, so wie bei mir auch, kam dann die Zeit, wo wir uns mit unseren Wurzeln, mit unseren Familiensystemen und mit unseren Prägungen beschäftigt haben. Wir haben versucht die Verstrickungen zu lösen, die Abhängigkeiten und Übernahmen zu beenden. Und ja, bis zu einem gewissen Grad hat dies auch funktioniert.
Doch jetzt gerade erlebe ich etwas, was weit darüber hinaus geht. In Wirklichkeit lebe ich noch immer einige meiner Muster, die ich in der Kindheit erlernt habe. Aber ich habe einen anderen Grad der Bewusstheit erreicht, der es mir erlaubt, plötzlich dabei zuzusehen, wie diese Muster ganz ohne meine tatsächliche Beteiligung ablaufen. Das heißt, es gibt da einen Teil, der noch immer glaubt, wütend werden zu müssen, wenn ihn etwas ärgert. Und diese Wut will gelebt werden, habe ich es doch so viele Jahre trainiert und perfektioniert. Doch in mir stelle ich fest, dass da niemand mehr ist, der diese Wut tatsächlich noch spürt, da ist nichts mehr, was wütend werden kann. Als ob es in mir eine Insel geben würde, auf die ich mich zurückziehe, während rund um mich der Orkan tobt.
Gleichzeitig stelle ich auch fest, dass nach so einem Wutausbruch keinerlei Ärger zurückbleibt. Ich kann im gleichen Moment den Auslöser in den Arm nehmen, und mich dafür bedanken, eine Erfahrung gemacht zu haben. Und die Liebe ist genauso groß wie vorher, weil etwas in mir weiß, dass mein Gegenüber gar nichts damit zu tun hat, was gerade geschehen ist. Es ist einfach nur ein Automatismus, der hier abläuft.
Seitdem ich das entdeckt habe, stelle ich fest, dass jetzt tatsächlich das geschieht, was ich mir immer gewünscht habe. Ich beginne mehr und mehr, mein eigenes Leben zu leben. Das zu leben, was ich wirklich bin. Dieses Zentrum, das Auge des Orkans, wenn du so willst, das bin nämlich ich. Das Ich, das ich wirklich bin, frei von all den Prägungen und Mustern, frei von allen Verstrickungen, frei von allen Bewertungen.
Nach Außen mag es noch so aussehen, als ob sich wenig geändert hätte. Und das gehört anscheinend auch noch dazu, dieses langsame Auflösen und Zurückziehen der Muster und Gewohnheiten. Und in mir breitet sich ein Gefühl aus, dass wohl mit ECHT SEIN am besten zu beschreiben ist. Das mag so manchen in meiner Umgebung irritieren, aber so ist es halt, wenn man beginnt sein eigenes Leben zu leben.
Damit musst du auch rechnen, wenn du beginnst dein eigenes Leben zu leben. Ich wünsche dir viel Erfolg dabei!
Herzlichst Petra